Aufnahmen von klassischem Gesang

  • hallo,


    ich möchte klassischen Gesang mit Klavier aufnehmen. Es soll der Eindruck eines Livekonzertes (Kammermusik) entstehen d. h. die Stimme sollte nicht steril und zu direkt klingen. Leider bin ich aufgrund der Aufnahmebedingen genzwungen, eine sehr kurzen Mikrofonabstand zu halten. Wie kann ich den Sänger neben der Verwendung von Halleffekten nach hinten bringen? Das Problem ist, daß der Hall entweder zu stark (Kirchengewölbeklang) oder die Stimme zu direkt (studiomäßig steril) klingt. Ich habe mit Gverb und Stereoreverb experimentiert und noch keinen passenden Mix gefunden. Ist es evtl sinnvoll, bestimmt Frequenzen mit Hilfe des Equilizers zu dämpfen? Falls ja, welcher Bereich wäre hier sinnvoll?


    Danke
    Erdie

  • Hallo Erdie


    Also der Trick geht normalerweise über die Verbreiterung der Stereobasis. Das geht aber nur wenn Du zumindestenstens den Raumanteil auf Stereo hast. Ausserdem hast schon ganz richtig erkannt: Klassik ist die grosse Equalizer-Spielwiese, mit Hallgeräten machst Du da meist eher alles kaputt.


    Ich selbst würde das so machen: 1 Micro (Mono-Kondensator) so nah wie möglich ans Klavier, am Besten Deckel des Klaviers öffnen. 1 Micro (Mono-Kondensator) für den Gesang (auch so nah als möglich - weniger als einen halben Meter). Zusätzlich ein Stereo-Kondensator-Mikrofon für den Raumanteil (nicht zu weit weg von den anderen zwei - wo genau hängt vom Raum selbst ab). - Das ist aber zugegebenermassen die aufwendige Variante und braucht zumindest eine Vierkanal-Maschine (die man aber noch ohne grössere Probleme ausgeliehen bekommt).


    Es gibt da noch mehr Tricksereien mit weniger Mikrofonen, dazu müsste ich aber wissen: Hast Du ein reines Stereomikrofon und nimmst wirklich "klassisch" (im Sinne der Mikrofonaufstellung) auf oder benutzt Du zwei einzelne Mikrofone für Klavier und Gesang oder bist Du noch am Proben oder hast Du die Aufnahmen schon gemacht (und man kann da nichts mehr an der Mikrofon-Geschichte ändern) und sie müssen jetzt abgemischt werden ?


    Schreib' mir das bitte noch mal etwas genauer dann kann ich Dir auch eine genaue Antwort geben.


    So long - edgar

  • Hallo Edgar,


    ich verwende ein M-Audio Delta 44 (also 4 Kanäle). Die Mikrofone, die ich habe, sind 2 Kleinmembran MXL 903 mit 2 Preamps Joemeek P3 und ein Großmembran Studio Projects C1 mit 1 Preamp Joemeek theeQ.
    Bisher habe ich das Klavier mit den beiden MXL abgenommen und für den Gesang habe ich mir seit kurzem das Studio Projects gekauft.
    Unser Problem ist die extrem schlechte Akustik, da wir in einem kleinen Keller mit niedriger Deckenhöhe aufnehmen. Jede Art von Raumakustik auf der Aufnahme ist wirkt sich destruktiv aus (das habe ich schmerzlich erfahren, als wir voher nur im den Stereopaar aufgenommen haben). Ich gehe deshalb davon aus, daß der beste Kompromiss ein möglichst kurzer Mikrofonabstand ist. Nur muß ich den Raum dann hinterher künstlich simulieren - und hier wird es eben schwierig. Ich bemühe mich momentan darum, an einen Konzertsaal mit richtigem Flügel ranzukommen. Nur wird dieses dann eher kurzfristig sein, d. h wir können nicht tagelang probieren.


    Gruß
    Erdie

  • Also mal 'ne ganz blöde Idee: Wäscheleinen spannen und alles mit alten Bettlaken zuhängen - so kriegst Du zumindest die Raumakustik tot. Was Deine Sänger/innen und Klaviteure dazu sagen musst Du selber wissen - sieht halt nicht so toll aus, hört man im Ton aber nicht (sag ich immer).


    In diesem Fall musst Du natürlich hinterher mit künstlichem Hall ran. GVerb kannst Du da leider vergessen - hast Du aber glaub' ich selber schon gemerkt. Problem ist: GVerb ist bereits eines der besseren Freeware-Module. Kenne da im Freeware-Bereich eigentlich fast nur grauenhaften Schrott. Realistische Akustikprogrammierung ist halt kein Pappenstiel (auch ich würde mir das jetzt nicht so ohne weiteres zutrauen, obwohl ich theoretisch weiss wie sowas funktioniert).


    Ich lese mich grad' in Nyquist rein (wie man bestimmt schon bemerkt haben wird) und werde auch da mal forschen was machbar ist. Weiss aber noch nix genaues zum Thema Nyquist und Hall.


    Man kann ja mal einen generellen Aufruf starten: Wer kennt ein taugliches Freeware-Hallmodul ? Audacity kann ja auch VST - wenn auch ohne Grafik, die braucht man für Hall aber auch nicht unbedingt.


    Sobald ich mehr weiss geb' ich Bescheid - edgar

  • Das weiss der Markus besser als ich. Bin momentan nur Windows und Mac OS X, aber Linux ist meine nächste daheim-Baustelle im Frühjahr, da könnt ihr mir ja dann helfen. Da Du den Hall aber wahrscheins noch vor Frühjahr brauchst: Ich kenne hier auch noch ein paar Linuxe, die mit Ton rummachen, ich frag' da mal ob irgendwas von Hall bekannt ist. - bis dann - edgar

  • Hi Edgar,


    hast Du mal Interesse, daß ich Dir eine Testaufnahme als mp3 schicke, die ich bisher gemacht habe? Ich würde die ein Lied auf Schuberts Winterreise schicken ..? Mein Adresse ist: martin.erdtmann@gmx.de. Schreib einfach .. Dein Urteil würde mich interessieren.


    BTW: Der Sänger bin ich selbst ;)


    Gruß
    Martin

  • Erdie:


    Stimmt, VST gibt's nicht für Linux. Das Thema mit den LADSPA-Plugins wird aber oft sehr unterschätzt, es gibt inzwischen für sehr viele Standardarbeiten (Kompressor, Equalizer usw.) sehr gute LADSPA-plugins, gerade unter Linux. Schau Dich doch mal um.

  • Also erstmal Durchsage von der Linux-Fraktion: Linux Halleffekte "www.hitsquad.com > Software > Linux" gucken. (Tip ist zwar nicht toll aber besser als keiner).


    Ausserdem Grundlagenforschung: Achtung Trick! - Anleitung Stereobasisbreite in Audacity


    1.) Wie immer: erstmal "Bearbeiten > duplizieren" für jede Spur eine Effektspur erstellen.


    2.) Im Spurausklapp-Menü (im Spurkopf ganz vorne beim Lautstärke- und Balanceregler oben das schwarze Dreieck): "Stereospur aufteilen" in zwei Monospuren .


    3.) Rechten und linken Kanal vertauschen und zwar im Spurausklapp-Menü der oberen Mono-Spur mit "Tonspur nach unten verschieben". Man kann auch die obere Tonspur mit der Maus am Spurkopf packen und einfach nach unten ziehen, das geht schneller. Achtung: über dem "Stumm" und "Solo"-Schalter steht "Links" oder "Rechts". Das ist aber nur der Kanal auf dem die jeweilige Spur abgespielt wird solange sie Mono ist. Das hat nichts zu sagen bei der Geschichte, die wir jetzt vorhaben. Wichtig ist viel mehr dass die Mono-Effektspur, die vorher oben war jetzt unten ist bzw. umgekehrt.


    4.) Im Spurausklapp-Menü der oberen Mono-Effektspur "Stereotonspur erstellen" wählen. Wir haben jetzt wieder eine Stereotonspur, bei der aber der rechte und der linke Kanal vertauscht sind. Man kann das überprüfen, indem man beide Spuren auf -6dB stellt und gleichzeitig abspielt, das Ergebnis muss dann Mono sein.


    5.) Jetzt die Effektspur (die mit den vertauschten Kanälen) erst mit "Effekte > umkehren", dann mit "Effekte > Verstärken: -10dB" bearbeiten. Wir haben jetzt eine Effektspur mit vertauschten, um 180 Grad phasengedrehten Kanälen auf nur noch einem Drittel der Lautstärke.


    6.) Die Lautstärkeregler der Spuren wieder auf 0dB stellen und beide Kanäle gleichzeitig abspielen. Wenn man jetzt mit dem "Stumm"-Schalter die Effekt-Spur ein- und ausschaltet wird man einen Effekt hören wie man ihn von tragbaren Stereo-Kassettenrecordern (Ghettoblaster) her kennt: die Boxen scheinen auf einmal viel weiter auseinander zu stehen. An der Lautstärke der Effektspur kann man die Stärke des Effekts (und damit den "Abstand" der Boxen) einstellen.


    Achtung: der Effekt lässt sich mit einem Kopfhörer nur unzureichend simulieren. Er beruht darauf dass es sich bei Stereo nicht um eine wirklichkeitsgetreue Abbildung der Realität sondern um ein psychoakustisches Modell aus zwei Mono-Phantom-Schallquellen handelt. Die Aufstellung der Monitorboxen beim Abmischen sollten (zusammen mit dem eigenen Kopf) ein gleichseitiges Dreieck mit drei 60-Grad Winkeln bilden. Nur so kann dieser Effekt richtig eingeschätzt und abgemischt werden - man kann sich da nämlich auch selbst reinlegen, wie folgender Versuch beweist: Einfach mal die Effektspur so laut wie die Originalspur drehen (oder zumindest grösser als 0dB). Das Ergebnis klingt sehr verwirrend. Da die Phasendrehung der Schallwellen am Ohr jetzt grösser als 180 Grad wird weiss das Gehirn nicht mehr was vorne und hinten ist. Also generell Vorsicht bei solchen Tricksereien - trotzdem auf jeden Fall mal ausprobieren!


    Was mir auch noch einfällt: Es gibt in Köln einen Professor namens Andreas Gernemann, der betreibt akustische Grundlagenforschung mit verschiedenen Mikrofonaufstellungen für Stereo- und Mehrkanalton. Einfach mal unter "Andreas Gernemann" bei Google suchen. Ich habe da auch noch irgendwo ein paar PDFs zum Thema Stereomikrofonie und Stereoabmischen. Wenn Interesse besteht such ich sie mal heraus. Weiss jetzt nicht ob das unbedingt ins Forum muss, kann sie aber auch zumailen (muss sie aber erst mal finden - hab sie auf jeden Fall nicht fortgeschmissen).


    Viel Spass beim rumspielen - edgar

  • Hallo Edgar,


    VST würde auch gehen, da ich noch eine Windows XP centrino notebook mit 2 Gig RAM rumfliegen habe. Da ich beruflich mit Windows arbeiten muß, kostet es mich ein wenig Überwindung dieses zu nutzen, aber wenn ich dadurch einen guten Effekt nutzen kann, heiligt der Zweck die Mittel. :D


    Gruß
    Erdie

  • Die Stereobreite lässt sich nur auf diese Art regulieren, wenn es sich um echte MS- oder YX-Aufnahmen handelt- bei denen nur Pegelunterschiede in den signalen vorliegen. Lautzeitbezogene Aspekte werden so falsch behandelt! Diese werden aber bei typischen Klavieraufnahmen mit AB erzielt. Siehe dazu die Seite Klavieraufnahmen auf meiner Studioseite http://www.studio96.de.


    Generell sollte man die Stereowirkung bei der Aufnahme durch die Mikros einstellen.

  • Das ist natürlich vollkommen richtig: jede Art von elektronischem Rumgetrickse macht eine Aufnahme (zumindest im Klassikbereich) im allgemeinen schlechter und nicht besser. An einer wohlüberlegten (oder gut ausexperimentierten) Mikrofonaufstellung führt daher kein Weg dran vorbei. Trotzdem wollte ich bekanntgeben: es gibt mittlerweile ein Stereo-Basisbreiten-PlugIn unter http://audacity.fuchsi.de/509 (heisst dort Weitwinkel-Stereo).